Einmal digitalisiert, sind die Daten meist einfacher zugänglich als analoge Daten. Mehrere Wissenschaftler können gleichzeitig, jederzeit und von verschiedenen Orten auf sie zugreifen, z.B. über virtuelle Forschungsumgebungen. Ihr wahres Potenzial entfalten solche Daten jedoch erst durch eine (text-) technologische Aufbereitung. Ein Beispiel hierfür ist die Erstellung digitaler Editionen, in denen z.B. das Gesamtwerk eines Schriftstellers über ein Internetportal zugänglich und durchsuchbar gemacht wird. Die Durchsuchbarkeit kann verbessert werden, indem Texte mit semantischen Annotationen versehen werden, z.B. um Eigennamen herauszuheben oder ambige Wörter zu disambiguieren. Zur einfacheren Navigation können Dokumente über Hyperlinks miteinander und mit externen Quellen, wie z.B. Karten, Photos oder Enzyklopädien, verbunden werden.
Ein Beispiel hierfür ist das Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, das zahlreiche Wörterbücher miteinander vernetzt und dadurch eine einfache Navigation im Gesamtnetz erlaubt, die mit herkömmlichen Nachschlagewerken nur schwer möglich ist.
Die Digital Humanities befassen sich aber nicht nur mit der Aufbereitung und Repräsentation digitaler Daten, sondern auch mit deren Analyse. Es können zum Beispiel automatisch soziale Netzwerke der Charaktere eines literarischen Textes erstellt und mit Verfahren der Netzwerkanalyse ausgewertet werden. Mit Hilfe der automatischen Sentimentanalyse kann zudem die emotionale Färbung von Textpassagen ermittelt werden. Auch im Bereich der Geschichtswissenschaft gibt es Anwendungsmöglichkeiten.
In einem Kooperationsprojekt zwischen dem Center for Digital Humanities, der Universität Utrecht und dem University College London werden z.B. Text-Mining-Verfahren entwickelt, die dabei helfen, große historische Zeitungskorpora auszuwerten, um Bereiche kultureller Einflussnahme zu erkennen.
Wichtig ist dabei, dass automatische Verfahren die traditionelle geisteswissenschaftliche Analyse nicht ersetzen, sondern eine zusätzliche Methode sind, um bestimmte Tendenzen sichtbar zu machen, die sich bei einer rein manuellen Auswertung allenfalls sehr schwer erschließen lassen. Verfahren der Digital Humanities können damit zur geisteswissenschaftlichen Hypothesenbildung beitragen und aufgestellte Hypothesen empirisch unterfüttern. Dabei reicht es nicht, existierende informatikwissenschaftliche Verfahren einfach auf geisteswissenschaftliche Daten anzuwenden.
Vielmehr entwickeln Wissenschaftler aus den Digital Humanities im engen Dialog mit Fachwissenschaftlern vollkommen neue Verfahren zur Datenrepräsentation, -visualisierung und -analyse. Die Digital Humanities bilden damit ein eigenständiges Fach mit eigenen, sich ständig weiterentwickelnden Methoden, das einen vollkommen neuen, faszinierenden Blick auf geisteswissenschaftliche Fragestellungen ermöglicht.
Studium
Das Studium der Digital Humanities kann mit jedem geistes- oder informatikwissenschaftlichen Fach kombiniert werden bzw. darauf aufbauen. Mehrere Universitäten bieten Studienmöglichkeiten an, entweder als Studiengang oder in Form von individuellen Modulen. An der Universität Trier ist zum Wintersemester 2014 ein neuer Masterstudiengang geplant, der vom Fach Computerlinguistik und Digital Humanities in enger Kooperation mit der Informatik, dem Center for Digital Humanities und den geisteswissenschaftlichen Fächern durchgeführt wird. Ein Schwerpunkt liegt auf der interdisziplinären Ausrichtung und der engen Zusammenarbeit mit Museen und Archiven.
Die Digital Humanities sind ein junges Fach, das sich durch eine große Dynamik und Aufgabenvielfalt auszeichnet. Ein Studium ist für Studierende interessant, die geisteswissenschaftliche Interessen mit einer Affinität zu technischen, technologischen oder quantitativen Methoden verbinden, wobei der technische Anteil je nach persönlicher Schwerpunktsetzung variieren kann. Die Berufsaussichten sind hervorragend, da Museen, Archive und Forschungsinstitute vermehrt eine geisteswissenschaftlich-technische Doppelqualifikation nachfragen.
Über den Autor
Caroline Sporleder ist Professorin für Computerlinguistik und Digital Humanities an der Universität Trier.